"Meeting you with a view to a kill.
Face to face, in secret places. Feel the chill."
Mit etwas Abstand auf die 10 Stunden am Chaberton zurückblickend, geht mir der alte Duran Duran-Song nicht mehr aus dem Kopf.
Das war schon eine aufregende Geschichte. Und wie unerwartet früh das Abenteuer losgehen sollte.
Eigentlich war der Chaberton als Ziel nicht unbedingt gesetzt, aber als sich das gute Wetter festsetzte und auch der kalte Wind, der mich noch am Jafferau begleitete, abrupt endete, hatte ich plötzlich irre Lust auf "quäl dich, du Luder". Oder anders gesagt, mir laufen die Jahre davon, also noch einmal alles geben und dann darauf zurückblicken können.
Zur Strecke! Vor 4 oder 5 Jahren war ich schon mal oben, hatte ich mich aber etwas verfahren und mit einem technischen Defekt lange herum gequält. Der Fehler würde mir dieses Jahr nicht unterlaufen und somit sollten die
2000 Höhenmeter und
28 km Streckenlänge trotz langer
Trage- und Schiebepassagen
problemlos zu meistern sein.
Es sollte anders kommen, aber der Reihe nach.
Tief und fest hab ich verschlafen und so ist es schon fast 10 Uhr, als ich Fenils erreiche. Die Parkplätze sind erstaunlich leer und ich mache schon mal 25 Höhenmeter gut, weil ich am oberen Ende parken kann.
Die Piste bis zur Alm ist in gutem Zustand und es kurbelt sich flott über die ersten Kilometer. Leider ist der Brunnen trocken. Da ich nur 1 Liter Wasser mit bei habe, hätte ich mir da gerne noch einen Schluck gegönnt.
Der Weg wird nun steiler und ruppiger und endet bereits ziemlich früh zwischen km 4 bis 6. Da hat ein Erdrutsch die gesamte Straße im Bogen über 30 Meter verschüttet bzw. in die Tiefe gerissen.
Die Masse ist extrem locker und jeder Schritt wird von herab rieselndem Schotter begleitet.
Oben über die Mauerreste ergibt sich eine 20 cm breite geschotterte Spur, an deren Ende man von der Mauer hüpfen kann und einem 7 cm breiten Sims bis zum Schotterfeld links außen entlang folgen kann.
Die letzten beiden Schritte zum Schotterfeld sind stark geneigt. Ohne Rad in der Hand kommt man ganz gut rüber, zurück sogar noch leichter. Nur mit dem Rad auf den Schultern ist es arg gefährlich.
Ich schaue mal, wie weit ich mit dem Rad auf der Schulter komme. Schon der Einstieg in der Ecke ist grenzwertig und ich schaffe es bis zur Mauer, bevor es mich fast in die Tiefe reißt. Hier komme ich so nicht weiter. Ich versuche, die Stelle über den Weg zum Lac Desert zu umfahren.
Nach 3 km muss ich aber einsehen, dass auch dieser hübsche Trail nur an der Scharte empor führt, aber nicht darüber .
Also nochmal zurück. Die Passage sieht immer noch nicht besser aus, aber wenn ich das Rad zerlege, könnte ich unten durch die Scharte steigen und über das Schotterfeld wieder nach oben. Mal sehen, was der zerfressene Oberschenkelknochen dazu sagt. Ein letzter Blick aufs Handy. Bella Italia, ich hab hier volles Netz.
Also Räder raus, Akku ab und das Ding geschultert.
Nach einem Tritt ins unerwartet lockere Gestein ging es dann auch flotter runter als erwartet. Dafür ging es ziemlich zäh nach oben. Zwei Schritte vor, einen zurückrutschen. Grrrr.
Eine halbe Flasche Wasser später ist es dann vollbracht, wobei ich die leichten Räder und den Akku oben rum getragen habe. Da die nicht so sperrig sind, konnte man das riskieren und für den Rückweg hab ich auch schon eine andere Idee, wie ich da kräftesparender drüber komme.
Da hier mit Sicherheit weder Bagger noch Raupe vorbei kommen, sieht der weitere Weg auch ziemlich naturbelassen aus. Überall liegen kindskopfgroße Steine auf dem Weg und ca. 20 Muren, über die man drüber muss. Dann erreicht man endlich die bekannte Stelle, an der schon so viele Motorradfahrer umkehren mussten. So mit eingehängtem Fahrrad sieht es gar nicht so schlimm aus, aber tatsächlich ist nur das 15 cm breite Stück am Fels gerade. Danach neigt sich der Weg schnell zum Abgrund und ist somit unbefahrbar.
Keine 20 Meter weiter hat die Natur einen weiteren Sperrriegel platziert. Aber auch der lässt sich "ertragen".
Wo wir gerade das Tragen geübt haben, werden wir es nun perfektionieren. Denn das folgende Stück zum Colle dello Chaberton (den französischen Namen hab ich gerade nicht parat) ist gewissermaßen eine Schiebung. Es ist steil, der Untergrund von Wasserrinnen durchzogen und weich, der Weg selbst oft nur zu erahnen. Aber man kann nix falsch machen außer aufgeben!
Ab dem Col bleiben noch zwei Schluck Wasser und ich schiebe die letzten Schokokekse in den trockenen Mund. Es ist schon vier Uhr. Die Sonne knallt mir seit 5 1/2 Stunden auf den Deetz. Jetzt kann die Sonnenmilch mal zeigen, was sie taugt.
Ab dem Pass kann man gut 90% des verbleibenden Weges fahren. Das ist auch wichtig, denn die ersten ca. 1400 Höhenmeter mit ihren Spezialeinlagen haben ganz schön ausgezehrt. Mit Tour- bzw. Sporteinstellung am Velo geht es die letzten letzten km den Berg hinauf.
Keine Frage, bei diesem Wetter ist es jede Anstrengung wert, hier hoch zu kommen. Die Aussicht ist mehr als grandios und es erfüllt einen tiefste Zufriedenheit.
Es ist schon nach fünf, als ich mich wegen zunehmendem Wassermangel auf den Weg zurück ins Tal mache.
Es geht flott hinab und nach vielleicht 80 Minuten finde ich mich an bekannter Engstelle wieder.
Die liegt jetzt Gott sei Dank im Schatten.
Razzi Fazzi das Rad zerlegt und dann die neue Technik probieren.
Da ich von hier aus an der Mauer nicht runter sondern hoch muss und die Spalte zwischen den Steinen als Griff nutzen kann, gelingt es recht gefahrlos, die Sachen auf der Mauer abzulegen. OK, mit dem Rahmen auf dem Rücken ist der schmale Sims immer noch nicht so wirklich schick, aber deutlich weniger anstrengend als der Weg unten durch das Schotterfeld.
Tatsächlich kostet mich die Stelle keine 15 Minuten und dann geht es mit Volldampf ins Tal. Ich hab schon den Geschmack von Weizenbier auf der Zunge, als mich plötzlich eine unbekannte Macht in einen Salto zwingt.
Ein erhebender, fast majestätischer Anblick, wie sich das Rad scheinbar schwerelos über dir in den Himmel erhebt und in der Abendsonne glitzert und funkelt, bevor du mit dem Rücken die Erde berührst (also aufschlägst) und den Inhalt deiner Lungen geräuschvoll in die Umwelt entlässt.
Schuld war ein plötzlich stark entlüftetes Vorderrad in der Anbremszone einer Kehre.
Die Schäden am Rad waren überschaubar, die am Körper sickern in ein Taschentuch, bis das Pflaster endlich kleben bleibt. Doof nur, dass der Schlauch so fetz ist, dass er sich nicht reparieren lässt. Noch 2-3 km bis zum Auto und zum Weizenbier.
Fanculo tutto! (ist Italienisch und bedeutet ungefähr Schîsdrüfé).
Ich lass mich auf der Felge ins Tal rollen.
Fast 10 Stunden war ich unterwegs.
10 Stunden, die ich sicher nicht so schnell vergessen werde.
Alles tut weh und ich rieche nach Pumakäfig und Waschbär ganz hinten.
Muss man das haben?
Hm...
hast du lieber mit Big Jim oder Ken gespielt?